Wenn die Kräfte nachlassen

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Eine Kirchgemeinde mit Ambitionen wird geprägt von Menschen mit Ambitionen. Zwei Bücher können helfen, mit den eigenen Ambitionen sinnvoll umzugehen und sich so zu organisieren, dass man auch gute Arbeit leistet, wenn die Kräfte der jungen Jahre nachlassen.
Von Lukas Huber

In seinem Buch «From Strength to Strength» schreibt der amerikanische Soziologe Arthur C. Brooks, dass es ausgerechnet Menschen mit grossen Zielen sind, die in der zweiten Lebenshälfte unglücklich werden. Der Mensch sei nicht dafür gemacht, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Wer aber als junger Mensch ambitioniert und erfolgreich arbeitet, merkt, dass es ab 30 Jahren bergab geht mit der Fähigkeit, sich stark zu konzentrieren und Dinge gegen alle Widerstände zu bewegen. Wer sich damit nicht abfindet, hat verloren.

Durchbrüche wurden in der Geschichte gewöhnlich durch junge Menschen erzielt. Die ersten Jahrzehnte des Lebens seien geprägt durch die «fluide Intelligenz», schreibt Arthur Brooks. Sein Bild dafür ist eine Bibliothek mit wenigen Büchern: Der Bibliothekar kann sie ganz schnell hervorholen. Doch ab 30 – mit zunehmender Lebenserfahrung – wird die Bibliothek grösser und das Hervorholen der Bücher wird zunehmend langsamer.

Der Sprung auf die zweite Intelligenz


Diesem Abwärtstrend der fluiden Intelligenz kann man sich mit aller Gewalt entgegenstellen, man kann immer mehr arbeiten und auch sonst einen ungesunden Lebensstil pflegen. Oder man akzeptiert die Erkenntnisse der Hirnforschung und springt von der ersten – der fluiden – Intelligenz auf die zweite Kurve: die kristalline Intelligenz.

Die zweite Form der Intelligenz ist weniger prestigeträchtig und lukrativ, aber genauso befriedigend. Anstatt sich auf eine Innovation zu konzentrieren sieht man das grössere Bild und kann andere anleiten.

Um diesen Sprung zu schaffen müssen speziell erfolgsgetriebene Menschen lernen, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr so speziell sind. Es sei sowieso eine Art Selbstobjektivierung, wenn man sich als erfolgreich und innovativ definiere – und dann merke, dass das nicht mehr so gut geht.

Der Weg auf die zweite Kurve gelingt dann, wenn man statt anzuhäufen auszumeisseln beginnt: Nicht mehr immer mehr haben wollen (Geld, Erfolg, Dinge), sondern immer weniger.

Arthur Brooks schlägt für die zweite Lebenshälfte eine neue Existenz-Mathematik vor: Befriedigung in der ersten Hälfte ist, wenn man bekommt, was man will. In der zweiten Hälfte gilt:

Befriedigung = Was du hast ÷ Was du willst

Der andere Brooks: «The Second Mountain»

In der Aufwärts-stolpern-Episode über «From Strength to Strength» besprechen die beiden Hosts Lukas Huber und Anna Näf ein weiteres Buch: «The Second Mountain» des ebenfalls amerikanischen Autors David Brooks – nicht verwandt mit Arthur Brooks.

David Brooks beschreibt die Herausforderung des Lebens so, dass es darum geht, zwei Berge zu besteigen. Der erste ist der Berg der Individuation, also dass man sich vom Elternhaus löst, ein eigenes Ego aufbaut, Karriere macht et cetera. Oben angekommen merkt man, dass das alles nicht ein Leben lang glücklich macht.

Hinter dem ersten Berg liegt ein Tal. Manche Menschen spüren die Leere von viel Geld von alleine, andere werden durch eine gesundheitliche oder beziehungsmässige Katastrophe vom ersten Berg heruntergeworfen. Wer den Weg durch die Wildnis des Tals durchschritten hat, sagt David Brooks, sei eingeladen, den zweiten Berg zu besteigen. Diesen zweiten Berg beschreibt der Wirtschaftsjournalist als Berg der Transzendenz des Ego.

Den zweiten Berg definiert David Brooks ausführlich durch vier Dinge:

  • Man muss eine Berufung finden, die grösser ist als das eigene Ego;

 

  • man solle verbindliche Beziehungen eingehen, in denen nicht das Ego im Mittelpunkt steht – er singt ein Loblied auf die Ehe, die der persönlichen Reifung und der Transzendieren des Ego zugunsten des grösseren Gemeinsamen dient

 

  • es gilt, eine Philosophie und/oder einen Glauben zu finden. Er schreibt: «Religiös zu sein bedeutet für mich, die Wirklichkeit durch eine heilige Linse wahrzunehmen.»

 

  • schliesslich solle man sich einer Gemeinschaft anschliessen, die sich für das Gute in der Welt einsetzen.

     

In der Aufwärts-stolpern-Episode sagt Anna Näf auf die Frage, was die Kirchgemeinde mit Ambitionen von diesen Büchern lernen kann, dass gerade die Kirche ist Ort, an dem sich Menschen sinnstiftend einbringen können. Lukas Huber ergänzt, dass die Bücher für einen Teil des Zeitgeists sprechen, der sagt, dass manche Menschen merken, wie leer das Ego und der persönliche Erfolg irgendwann werden. Das heisst, die Kirche kann an die Erfahrung vieler Menschen anknüpfen, wenn sie davon redet, dass es mehr gibt als der eigene Erfolg.

Hier kann das ganze Video angeschaut werden.

Die ganze Episode kann man hier anhören

Eine deutsche Zusammenfassung des Buches "From Strength to Strength" finden Sie hier

Eine deutsche Zusammenfassung des Buches "The Second Mountain" finden Sie hier