Es braucht Nerven, mit 58 Jahren einen sicheren Posten aufzugeben und etwas ganz Neues, Unsicheres zu beginnen. Bernhard Jungen hat seine Pfarrstelle gekündigt und die Unfassbar gegründet. Er hat damit etwas gemacht, was er auch Kirchgemeinden empfiehlt: die Angst um die Zukunft loslassen und sich von der Angst vor dem Scheitern nicht zurückhalten lassen.
Von Lukas Huber
Er hat immer Wert darauf gelegt, persönlich fassbar zu sein, trotzdem hat der langjährige Pfarrer Bernhard Jungen die Unfassbar gestartet: ein Bierbar auf Rädern. Ein Traum im Schlaf liess den Gemeindepfarrer seine Stelle in der reformierten Kirchgemeinde in Ittigen bei Bern mit 58 Jahren kündigen, obwohl er dem Kirchgemeinderat zugesagt hatte, bis zur Pensionierung zu bleiben.
Der grosse Wechsel hänge mit seinem Gabenprofil zusammen, sagt er in Episode 06-01 des Podcasts «Aufwärts stolpern»: Er müsse neue Dinge anreissen, damit ihm wohl sei, dabei sei er in der Kirchgemeinde immer mehr in die Rolle des «Senior Pastors» gekommen, der im Hintergrund die Fäden zieht.
In seinen 30 Jahren als Gemeindepfarrer habe er viel Freiheit gehabt, Neues anzureissen, zum Beispiel die Come-in-Gottesdienste, die er mit einem Team und ohne Orgel gestaltete – und ohne Pfarrkollegen, obwohl sie sich einmal vorgenommen hatten, alles gemeinsam zu machen. Doch die gemeinsame Arbeit im Pfarrteam habe sich für diese Projekt-Gottesdienste nicht geeignet. Ein weiteres Beispiel für Jungens Innovationsdrang war die Gründung der Lebensgemeinschaft Casapella.
Ohne die Freiheit, solche Dinge anzureissen, wäre er schon viel früher als mit 58 Jahren gegangen, sagt Bernhard Jungen auf die Beobachtung von Podcast-Host Anna Näf, dass innovative Menschen sich oft ausserhalb der verfassten Kirchgemeinde einbringen.
Es kann einem auch zu wohl sein
Nach einer Feier wegen seiner langjährigen Tätigkeit in der Kirchgemeinde sei ihm unwohl geworden, erzählt Jungen weiter. Es könne einem schon zu wohl sein als Pfarrer. Dazu kam der Traum, der ihm zeigte, dass etwas Neues dran sei. Was genau, war zu Beginn nicht klar. Er habe gemerkt, dass nicht alles voraussehbar sei.
Bald aber sei klar geworden, dass eine Bar auf Rädern ihm entspreche, erzählt Jungen. «Irgendwann merkte ich: Die Bar ist der Ort, der mir entspricht.» Er habe schon seit vielen Jahren bedauert, dass er am Samstag nicht länger mit Menschen ungezwungen zusammen sein konnte, weil er am Sonntag den Gottesdienst zu leiten habe.
Überhaupt, sagt Jungen, sei die Kirche der Autismus-Gefahr ausgesetzt. Viele Veranstaltungen der Kirchgemeinde seien unglaubliche Zeitfresser – nicht nur für die Angestellten, sondern auch für alle Gemeindeglieder. Die Veranstaltungen hinderten Menschen daran, ihre Beziehungen in der Nachbarschaft zu pflegen, sagt Jungen.
Die mobile Bierbar Unfassbar biete genau das: Ungezwungenes Zusammensein rund um den Zapfhahn.
Co-Host Lukas Huber möchte wissen: Was kann die Kirchgemeinde mit Ambitionen vom Projekt der Unfassbar lernen? Sie solle Menschen mit unkonventionellen Ideen freisetzen und nicht vereinnahmen.
Die Angst vor dem Stolpern bleibt
Wie man die Angst vor dem Stolpern loswerde, fragt Anna. «Gar nicht», sagt Bernhard Jungen, man kann sie nur überwinden. Es habe ihn über ein Jahr gekostet, bis das Unfassbar-Konzept entworfen gewesen sei. Unvorhersehbares zu akzeptieren habe er lernen müssen, und das rate er auch Kirchgemeinden.
Und noch einen Rat hat Bernhard Jungen: Kirchgemeinden sollten die Angst um die Zukunft loslassen. Schliesslich habe ihr Meister gezeigt, dass es durch das Sterben zum Leben gehe. Darum sollten Kirchgemeinden auch fröhlich Angebote beenden. Um die Kirche müsse man sich keine Sorgen machen: Viele Menschen hätten einen grossen spirituellen Hunger und sehnten sich nach Beziehung und nach tiefen Gespräche – und da in vielen der Gespräche sei Gott auf eine unfassbare Art anwesend gewesen.