Mich haut nichts um

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Den Abschluss der aktuellen Staffel des Podcasts «Aufwärts stolpern» bildet die Diskussion über das Buch «Resilienz» von Mirriam Preiss. Die Psychiaterin rät dazu, speziell in langfristig angelegten Beziehungen – sei es im Privaten oder im Geschäftlichen – auf Augenhöhe zu achten. Das Wichtigste am guten Zusammenarbeiten ist der Dialog auf Augenhöhe.
Von Lukas Huber

Die deutsche Psychiaterin Mirriam Preiss erwähnt in ihrem Buch «Resilienz» die Kirche kein einziges Mal – und doch kann, was sie schreibt, sehr hilfreich sein in der Kirchgemeinde mit Ambitionen. Was Menschen hilft, ihre Arbeit gut und wirksam zu machen, ist ihr Thema. Um das zu verdeutlichen, beschreibt sie auch ausführlich das Gegenteil: die Spirale gegen unten in Beziehungen.

Dass ihr Buch aktuell ist, zeigt eine Studie der Uni Greifswald  aus dem Jahr 2020 – publiziert noch vor der Corona-Krise. 13 Prozent der Pfarrerinnen und Pfarrer der Mitteldeutschen Kirche litten aktuell an Burnout, ein weiteres Drittel sind akut burnout-gefährdet.

Burnout steht am Ende einer vierstufigen Entwicklung zum Schlechten, schreibt Priess. Diese Entwicklung habe immer mit Beziehungen zu tun, nicht mit der reinen Arbeitsmenge. Priess geht vom Begriff Dialog aus: Dialog ist die Fähigkeit, Dinge sachlich und auf Augenhöhe zu besprechen. Dialog zeichnet sich dadurch aus, dass man anders aus der Diskussion hinausgeht als wie man sie begann, weil man neue Gesichtspunkte und Argumente hörte und diese gemeinsam erörterte.

Vier Phasen bis zum Abgrund

Wenn aber der Dialog und die Augenhöhe verloren geht, fangen die Probleme mit ersten Stufe an: der Alarmphase. Priess beschreibt, dass viele Leute in dieser Phase noch gar nicht merken, dass der Dialog auf Augenhöhe verloren ging. Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Gedanken vermehrt um die Frage dreht, wie man die aktuelle Bedrohung abwehren kann.

Die zweite Phase ist die Widerstandsphase. Es geht im Argumentieren um Angriff, Verteidigung und Abwehr. Es treten oft erste körperliche Symptome auf. Weil diese schnell das Wohlbefinden stören können, sucht man eine Diagnose für die Symptome. Diese Verschiebung schwächt die eigene Resilienz aber zusätzlich, schreibt Priess, weil man auf der einen Seite in der Situation bleibt, aber gleichzeitig vor ihr flieht, indem man sich den Magenschmerzen, dem Kopfweh oder den Schlafstörungen widmet. Priess rät dazu, gerade in dieser Phase einen klaren Kopf zu bewahren, der Verschiebung der Probleme nicht nachzugeben, sondern eine Entscheidung zu fällen: Entweder es gelingt, den Dialog wieder aufzunehmen, oder man verlässt die Situation – im Sinne einer klaren Trennung und nicht im Sinne einer Flucht.

Wenn die Situation nicht so geklärt wird, dass wieder ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann, folgt die Erschöpfungsphase: Die Gedanken kreisen nur noch um die Symptome, häufig wird gar kein Zusammenhang mehr hergestellt zwischen den Symptomen und der Konfliktsituation.

Die vierte Eskalationsstufe ist die Rückzugsphase. Priess meint damit nicht den Rückzug aus der Situation, sondern die endgültige Aufgabe der eigenen Position.

Schuldfrage aufgeben – nach Verantwortung fragen

Wenn jemand sich dieser Spirale gegen unten entziehen und in Richtung Resilienz gehen will, gilt es, die Schuldfrage aufzugeben. Es bringt nichts, dem Arbeitskollegen seine Schuld vorzuhalten und ihn dazu bringen zu wollen, die Schuld einzugestehen. Noch weniger hilfreich ist es, sich zu rächen. Rache führe nur zu einer weiteren Schwächung der eigenen Person.

Der einzig sinnvolle Weg ist, die Schuldfrage zu verlassen und nach Verantwortung zu fragen: Was ist mein Anteil an der Eskalation, und vor allem Was brauche ich, damit ich mir selber und anderen wieder auf Augenhöhe begegnen kann? Priess schreibt: «Resilientes Leben heisst, einen einfachen Grundsatz zu befolgen: Ich begegne dem System, in dem ich mich befinde, im Dialog und auf Augenhöhe – und wenn mir dies nicht möglich ist, verlasse ich es und suche mir ein neues.»

Der Dialog auf Augenhöhe ist das wichtigste Stichwort von Priess. Der Dialog auf Augenhöhe kann eine Herausforderung sein, weil Menschen «innere Realitäten» mit sich tragen; das sind unverarbeitete schädigende Erfahrungen aus der Vergangenheit, die unsere Sicht auf die Welt, auf uns selber und auf andere prägen. Innere Realitäten können früh in der Kindheit entstanden sein, durch traumatische Ereignisse – oder durch langsam sich entwickelnde Ohnmachtserfahrungen. «Ob im beruflichen oder im privaten Bereich, gerade in langen Beziehungen sollte darauf geachtet erden, konsequent von Beginn an die Augenhöhe zu halten – und die damit verbundenen vermeintlichen Anstrengungen in Kauf zu nehmen – anstatt durch den inneren Rückzug unbemerkt innere Realitäten zu produzieren und sich dadurch unnötig zu schwächen oder zu erschöpfen.»

Zum Schluss der Episode geht es darum, dass es unter Umständen sinnvoll sein kann, sich in einer Therapie oder in der Seelsorge diesen inneren Realitäten zu stellen, um in Zukunft seine Arbeit – auch in der Kirchgemeinde – im Dialog und auf Augenhöhe tun zu können.

Mit dieser Episode schliessen die beiden Hosts Lukas P. Huber und Anna Näf die achte Staffel des Podcasts «Aufwärts stolpern» ab.

Hier kann das ganze Video angeschaut werden.

Die ganze Episode kann man hier anhören.

Eine Zusammenfassung des Buchs «Resilienz» finden Sie hier