«Martin Benz, was macht man, wenn Glaube und Kirche nicht mehr passen?»

Gespeichert von Roland Mürner am

Podcaster und Buchautor Martin Benz bezeichnet sich selber als «Umzugshelfer». Er unterstützt Menschen, die spüren, dass Glaube und Kirche nicht mehr ins eigene Leben passen. Drei grosse Fragen helfen bei Dekonstruktion und Rekonstruktion: Was will ich mitnehmen? Was entsorgen? Was neu anschaffen?

Von Lukas Huber
 

«Glaube ist kein Standpunkt, sondern eine Reise», sagt der ehemalige Gemeindegründer und Freikirchenpastor Martin Benz. Er hat nach Jahrzehnten seinen Job als kirchlicher Angestellter an den Nagel gehängt und arbeitet heute als Podcaster, Buchautor und «Umzugshelfer», wie er seine Aufgabe beschreibt.

Martin Benz’ Podcast Movecast beschäftigt sich mit der Glaubensentwicklung von Menschen. Er habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass auch sehr engagierte Christinnen und Christen irgendwann anfangen, den eigenen Glauben zu hinterfragen. Das könne daran liegen, dass sich mit den Lebensjahren auch das Denken weiterentwickelt, Auslöser einer Glaubenskrise könne aber auch ein Bruch im Leben sein wie etwa eine Scheidung. Dann stelle sich die Frage: «Wie könnte Glauben unter den neuen Umständen aussehen?»
 

Dekonstruktion als landeskirchliches Thema

Dekonstruktion sei ein grosses Thema in Freikirchen, wo sich Menschen von einem engen Glauben abwenden. Aber auch in Landeskirchen könnten Menschen irgendwann zum Schluss kommen, dass der Glaube nicht mehr passt. Wer durch Lebensumstände in eine persönliche Krise gerät, merkt unter Umständen: «Darauf war ich nicht vorbereitet, mein Glaube trägt ja gar nicht», wie es Martin Benz in Episode 09-05 des Podcasts «Aufwärts stolpern» beschreibt.

Von Podcast-Co-Host Lukas Huber gefragt, was er als Pfarrer antworten solle, wenn freikirchlich geprägte Menschen in seiner Kirchgemeinde auftauchen, rät Martin Benz, drei Fragen zu stellen:

  • «Was willst du mitnehmen von dem, was du bisher geglaubt hast?»
  • «Was entsorgst du besser?»
  • «Was solltest du neu anschaffen?»
     

Zudem sei die ehrliche Frage hilfreich:«Findest du bei uns, was dir so kostbar ist, und sind wir der richtige Ort für dich?»

Jugendarbeiterin und Co-Host Anna Näf fragt Martin Benz, wie in einer kirchlichen Jugendarbeit Glaubensvermittlung aussehen müsste, die eine spätere Dekonstruktion überflüssig mache. Das sei wohl gar nicht möglich. Jeder Glaube ist zuerst ein übernommener Glaube; er könne von Eltern, von der Kirchgemeinde oder auch von der Jugendarbeiterin übernommen werden. Darum müsse der Glaube immer einen Reifungsprozess durchlaufen. Dabei sei möglich, dass alles einigermassen harmonisch mitreift, es könne aber auch sein, dass Einiges dekonstruiert werden müsse.

Wie entwickeln sich die Menschen in meiner Kirchgemeinde?

Allerdings sagt Martin Benz klar: «Je gesunder ein Glaube ist, der vermittelt wurde, desto weniger Toxisches muss später entsorgt werden.» Er empfiehlt kirchlich Engagierten, sich zu fragen, ob die Menschen in der eigenen Jugendarbeit oder in der Kirchgemeinde hartherziger, verurteilender und ängstlicher werden oder im Gegenteil offener, liebevoller und grosszügiger. Daran, wie sich Menschen entwickeln, könnten die Verantwortlichen ablesen, ob ihr Wirken positive Auswirkungen habe.

Anna Näf fragt Martin Benz, ob sich rund um seinen Podcast so etwas wie eine digitale Kirche gebildet habe. «Ja. Es ist eine neue Art von Kirche entstanden, aber es ist keine ausreichende Art von Kirche.»

Seine Rückmeldungen zeigten: Leute machten traumatische Erfahrungen in Kirchen. Da könne die Movecast-Community helfen: Dass man nicht alleine ist, tröstet. Wenn aber eine Podcast-Community ein langfristiger Kirchenersatz bleibe, entziehe man sich der Gemeinschaft und Verantwortlichkeit anderen gegenüber. Dabei braucht man verbindliche Beziehungen, um zu wachsen. «Ich möchte Menschen dahin führen, dass sie wieder Freude an einer physischen Gemeinschaft haben.»


Kirche sollte weniger machen

Seine Erfahrung als Podcaster und Buchautor haben ihn gelehrt: «Neue Inhalte brauchen neue Formen.» Gleichzeitig sagt er: «Ich bin ziemlich ratlos, wie so eine Kirche aussieht.» Er selber würde, wenn er wieder eine Stelle in einer Kirchgemeinde anträte, nach 30 Jahren als Pastor wieder in die alten Muster rutschen. «Ich habe noch keine Idee, wie man es anders machen könnte.»

Klar ist für Martin Benz, dass weniger mehr ist. In den letzten Jahrzehnten sei im Leben von vielen Menschen Freiraum zur Mangelware geworden. «Wir arbeiten zwar immer weniger lang, brauchen aber immer mehr Zeit zur Regeneration.» Zur Arbeit sei sehr viel Anderes gekommen, das Energie kostet. Die Alltagsmüdigkeit führe zur Gemeindemüdigkeit. «Bei der Arbeit kann man nicht sparen, in der Familie auch nicht mehr, also geht man nur noch einmal im Monat in den Gottesdienst.»

Einen Ausweg sieht Martin Benz in einem Bild aus dem Alten Testament: Man dürfe das Feld nicht bis zum Rand abernten; man sollte also nicht das Letzte aus dem Leben rausholen wollen, sondern noch etwas stehen lassen für die Zeit, in dem das Leben überraschend zusätzlich Zeit einfordert.
 

Vor allem: Kirche sollte das Leben zum Blühen bringen

Ausgehend vom theologischen Konzept des Reichs Gottes sagt Martin Benz: «Gott will das Leben zum Blühen bringen. Eine Kirchgemeinde, die dabei hilft, wird ungeheuer attraktiv sein.» Das wäre sein oberstes Ziel, wenn er noch einmal in einer Kirchgemeinde arbeiten würde. Allerdings brauche es auch eine Ausweitung des Begriffs Kirche. Wenn damit nur Gottesdienst gemeint ist, seien vor allem jene gefragt, die gut reden können. Wenn aber auch bei Seniorenbesuchen das Leben zum Blühen gebracht werden kann oder in einer Suppenküche, können viel mehr Menschen mitwirken.

Gefragt, was ihm denn Hoffnung für die Kirche gibt, sagt Martin Benz: «Dass sie schrumpft.» Es tue der Kirche gut, nicht mehr Mehrheitskirche zu sein. «Die Mehrheit zu repräsentieren macht unglaublich anfällig für Machtausübung und Äusserlichkeit.» Innerlichkeit und Kraft liege in der Minderheitenposition.

Der Podcast «Movecast» von Martin Benz findet sich hier.

Hier ein Verzeichnis der Bücher von Martin Benz.

Die ganze Episode kann man hier anhören