Ich vertraue dir – nicht

Gespeichert von ursula.eichenberger am
Der amerikanische Psychologe und Klinikleiter Henry Cloud plädiert dafür, nicht  jedem zu vertrauen – vor allem nicht in jedem Bereich. Und das ausgerechnet in einem Buch mit dem Titel «Trust». Vertrauen ist keine Angelegenheit von Ja oder Nein, führt er aus. Er beschreibt die Voraussetzungen für Vertrauen und was man tun kann, wenn das Vertrauen kaputt gegangen ist.
Von Lukas Huber

In einer Kirchgemeinde und speziell einem Pfarr- oder anderen Team kommt es sehr darauf an, ob man einander vertrauen kann oder nicht. Und wenn das Vertrauen einmal zerbrochen ist, kann es sehr schwierig werden, weiter zusammenzuarbeiten.

In der «Aufwärts-stolpern»-Episode über das Buch «Trust» von Dr. Henry Cloud starten die beiden Hosts Lukas P. Huber und Anna Näf mit dem zweiten Teil des Buchs: «The Model for Repairing Trust». Nach einem Vertrauensbruch gelte es als erstes, sich in Sicherheit zu bringen, schreibt Cloud, sonst komme man in Versuchung, dumme Entscheidungen zu treffen. Dann gelte es, in Richtung Vergebung zu gehen. Vergeben sei ein Geschenk an sich selber und habe mit der anderen Person noch gar nichts zu tun. Vergeben heisst, sich zu lösen von dem, was geschehen ist.

Auf Vergebung folgt Versöhnung – vielleicht

Die nächsten Schritte, die Cloud empfiehlt, haben es den Hosts sehr angetan. Er sei in einer religiösen Welt aufgewachsen, in der Vergebung und Versöhnung eigentlich ein und dasselbe gewesen sei, bekennt Lukas Huber. Nach der Vergebung aber, sagt Cloud, solle man sich zuerst überlegen, was man genau wolle. Zur Versöhnung brauche es nämlich den anderen – und wenn dieser nicht bereit sei, zu seinen Fehlern zu stehen und die Verantwortung für seine Taten und Worte zu übernehmen, sei eine Versöhnung gar nicht möglich. Die Versöhnung, mit anderen Worten, ist nach dem «obligatorischen» Vergeben (für den eigenen Seelenfrieden!) ein optionaler Schritt.

Ein letzter optionaler Schritt, der gut abgeklärt werden müsse, ist, ob man nach Vergebung und Versöhnung dem anderen wieder Vertrauen schenken wolle und könne. Dafür sei es nötig, sagt Cloud, die Merkmale des ersten Teils des Buchs (ein zweites Mal) zu ergründen – also nochmals durch die Voraussetzungen für Vertrauen zu gehen und schauen, ob Vertrauen eine Option ist.

 

Fünf Voraussetzungen für Vertrauen

Henry Cloud sagt, um jemandem zu vertrauen, brauche es fünf Vorraussetzungen. Viel emotionaler Ärger und grosse Enttäuschung kann folgen, wenn man diese nicht sauber abgeklärt hat, bevor man jemandem vertraut. Vertrauen muss man nämlich nur, wenn man in einer Position der Schwäche ist: Man braucht etwas von einem anderen Menschen – sonst wäre Vertrauen gar nicht nötig, man würde es sonst einfach selber machen.

1. Versteht die andere Person mich? Umgekehrt, wenn andere mir vertrauen sollen: Habe ich der anderen Person zeigen können, dass ich ihr zuhöre und verstehe, was ihr wichtig ist und was sie wertschätzt.

2. Wie steht es um ihre Motivation? Will sie das gleiche wie ich? Geht es ihr nur um sich selber oder auch um das, was mich bewegt? Dieser Punkt ist nicht unwesentlich in einer Kirchgemeinde: Ich kann zu 100 Prozent überzeugt sein, dass mich ein Arbeitskollege nie bestehlen würde, aber wenn er bei der Arbeit immer in eine andere Richtung zieht, kann das heissen, dass ich ihm nicht vertrauen kann.

3. Hat der die nötigen Fähigkeiten? Wenn man in einer Kirchgemeinde jemanden als zuverlässig und engagiert erlebt hat – heisst das, dass er auch ein gutes Mitglied der Kirchenpflege ist? Nicht unbedingt; er sollte auch die Fähigkeiten und Interessen mitbringen, die mit der neuen Aufgabe verbunden sind.

4. Wie sieht es mit ihrem Charakter aus? Dieser Punkt ist sehr trickreich. Wenn man einer Mitarbeiterin absolut das Portemonnaie anvertrauen könnte, sie aber unter Druck immer die Schuld bei anderen sieht, kann das unter Umständen das Vertrauen zerstören. Umgekehrt, sagt Cloud: Man will ja nicht mit einer Arbeitskollegin verheiratet sein, unter Umständen kann man ihr bei einem gemeinsamen Projekt in jenem Bereich durchaus vertrauen, der wichtig ist, auch wenn sie sonstige Charakterschwächen hat. Vertrauen ist also auch etwas Sektorielles: Es bezieht sich oft auf Themen und Bereiche, nicht auf das ganze Leben.

Der Punkt, an dem Anna Näf in der Podcast-Episode zurückzuckte, war das fünfte Merkmal Clouds: Leistungsbilanz. Gerade vor einem Glaubenshintergrund hat man doch den Impuls, jemandem eine zweite Chance zu geben, wenn er seinen Fehler einsieht und Besserung gelobt. Allerdings, werden sich die Hosts einig, das Versprechen, etwas nie mehr zu tun, kommt zum Beispiel süchtigen Menschen leicht von den Lippen. Ob jemand sein Verhalten aber wirklich gebessert hat – tja, das kann nur die Zeit zeigen, darum ist es manchmal nötig, die Leistungsbilanz anzuschauen.

Hier kann das ganze Video angeschaut werden. 

Eine Zusammenfassung des Buchs findet sich hier

Die ganze Episode kann man hier anhören