Von 2004 bis 2022 befand sich das Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) an der Universität Greifswald. Als krönender Abschluss dieser Forschungen entstand dieses opus magnum zur Evangelisation mit 535 Seiten.
Von Pfr. Michael Freiburghaus, Leutwil-Dürrenäsch
In zehn Kapiteln gehen die vier Forscher grundsätzlichen Fragen der Evangelisation und zeichnen die interessante Begriffsgeschichte nach, wie aus dem biblischen Verb „evangelisieren“ das Substantiv „Evangelisation“ geworden ist. Ihr Vorschlag lautet, in Zukunft statt des Substantivs „Evangelisation“ das deutsche Verb „frohbotschaften“ zu verwenden, weil darin sowohl die Freude als auch die Botschaft besser zur Geltung kommen: „Die Freude ist ein Resultat des Botschaftens, das Botschaften ein Resultat der Freude“ (S. 445).
Ausdrücklich wehren sie sich gegen den Begriff Missionsbefehl (wie Mt 28,18-20 häufig genannt wird) und plädieren stattdessen für die Sendungsoffenbarung (Jes 61 und Lk 4), weil dort die beiden Schlüsselwörter Freude und Botschaft miteinander verknüpft werden.
Das Werk strotzt vor Ermutigungen für Pfarrer: Die Konversion von Menschen ist ein Prozess, der durchschnittlich zwölfeinhalb Jahre dauert (vgl. S. 377), bei dem der Pfarrer für 88% aller Befragten wichtig war (vgl. S. 379). „Neben den persönlichen Beziehungen sind gute kirchliche Veranstaltungen wesentlich“ (S. 379). Es ist ratsam, immer evangelistisch zu predigen, auch gerade in den Kasualgottesdiensten (vgl. S. 352). Auch praktische Ratschläge tauchen auf: Als Internet-Influencer sollte man zuhören und Beziehungen pflegen (vgl. S. 422). Auch konkrete Predigtvorbereitungstipps kommen vor (vgl. S. 353-357). Die Autoren ermutigen dazu, auch Neues auszuprobieren und keine Angst vor dem Scheitern zu hegen (vgl. S. 307).
Inhaltlich habe ich drei Anmerkungen: Die erste Behauptung, dass die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen erst durch Jesus wiederhergestellt wurde (vgl. S. 146), lehne ich aufgrund des Gesamtzeugnisses des Alten Testaments entschieden ab (Gen 5,1-3; Ps 139,14; Jer 1,5). Alle Menschen sind ontologisch (= wesensmässig) imago Dei und haben dadurch eine unverlierbare Würde. Die zweite Behauptung, dass im Neuen Testament das Verb „evangelisieren“ nie im Imperativ vorkommt (vgl. S. 453), mag zwar syntaktisch stimmen, jedoch inhaltlich nicht. Der Apostel Paulus schreibt an Timotheus: „Tu das Werk eines Evangelisten!“ (2.Tim 4,5). Drittens fehlt bei der Aufzählung der verschiedenen Evangelisationsarten (S. 319-342) die Traktat- und Schriftenmission, was mich als ehemaligen Präsidenten der Schweizerischen Traktatmission (2015-2022) schmerzt. Dieser Evangelisationstyp sollte zusätzlich erwähnt werden. Auch in Greifswald sah ich am 19.07.2024 in der Innenstadt einen Stand mit kostenlosen Bibeln, Flyern, Broschüren und Traktaten stehen. Eine Frau und ein Mann luden zudem zu ihrer Freikirche ein. Auch im landeskirchlichen Kontext gibt es ein neues Projekt, mit einem Segensmobil-Fahrradanhänger an Strassenfesten im prekären Plattenbaugebiet teilzunehmen, wobei die Besucherinnen und Besucher eingeladen sind, kostenlos eine Bibelverskarte sowie einen persönlichen Segen zu erhalten.
Dieser Schinken ist ein theologischer Leckerbissen für alle, die sich auf höchstem Sprachniveau intensiv mit der Evangelisation auseinandersetzen wollen: „Evangelisation, wie sie in der missio Dei verankert ist, zeigt die zugewandte Liebe Gottes zu den Menschen und sie entspricht der Zuwendung Gottes zu den Menschen. Die Sendung des Sohnes, das Christusgeschehen, ist die sichtbare, historisch verankerte Form dieser göttlichen Bewegung“ (S. 157).
Michael Herbst, Andreas Jansson, David Reißmann, Patrick Todjeras.
Evangelisation: Theologische Grundlagen, Zugänge und Perspektiven. Mission und Kontext (MuK) 3.
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2024. 535 Seiten. 39 Euro, 46 Fr.