Eine der Schwächen der Kirche ist: Sie kann mit nichts aufhören. Warum das Beenden Menschen so schwer ist, beantwortet das Buch «Necessary Endings» von Henry Cloud. Was dabei hilft? Realistische Hoffnungslosigkeit.
Von Lukas Huber
Kirchgemeinden mit Ambitionen bauen gerne auf. Sie überlegen sich, wie sie noch mehr Menschen erreichen können, sie starten neue Projekte. Wenn parallel nicht Dinge beendet werden, führt der permanente Aufbau unweigerlich zur Erschöpfung aller Beteiligten.
Doch wie beendet man Dinge? Und warum fällt das Aufhören so schwer? Henry Cloud beschreibt die Zusammenhänge in seinem Buch «Necessary Endings» (2011). Bei einem Angebot zum Beispiel, das man selber gestartet hat, fällt es schwer, einzusehen, dass es einmal seine Zeit hatte, jetzt aber nicht mehr sinnvoll weitergeführt werden sollte. Das gilt speziell für Veranstaltungsformate, die in der Vergangenheit sehr erfolgreich waren.
Menschen haben auch Mühe, Dinge zu beenden, weil sie sich dann unter Umständen als Versager vorkommen, sagt Psychologe Cloud. Wer Dinge – oder auch Beziehungen – nicht bewusst beendet, steht in der Gefahr, ungünstige Verhaltensweisen zu wiederholen.
Es wächst mehr als man brauchen kann
Im kirchlichen wie im privaten Leben gilt die Regel: Es wächst mehr als man brauchen kann. Darum muss der Winzer seine Reben beschneiden – und die Kirchgemeinde ihre Angebote.
Im Podcast «Aufwärts stolpern» bemerkt Co-Host Anna Näf, dass es da eine Spannung gibt: Bei welchem Angebot muss man Ausdauer haben, um es zum Erfolg zu bringen, welches Angebot sollte man möglichst schnell beenden?
Objektive Kriterien – und Beschäftigung mit der eigenen Angst
Laut Henry Cloud braucht es zur Unterscheidung auf der einen Seite äussere Kriterien. Hoffnung alleine ist keine Strategie. Welche Massnahmen müssen also getroffen werden, um das Projekt zum Erfolg zu führen? Auf der anderen Seite lohnt es sich für Menschen mit Ambitionen, wenn sie sich mit sich selber beschäftigen: Was macht mir Angst, dass es mir schwer fällt, Dinge realistisch anzusehen und bei Bedarf einfach zu beenden?
Dabei, sagt Henry Cloud, hilft es, wenn man zwischen Schmerz und Schaden zu unterscheiden lernt: Sich einer harten Realität zu stellen kann schmerzhaft sein, es ist aber kein Schaden. Umgekehrt kann etwas weiterzuführen Schmerzen verhindern, aber es kann gleichzeitig der Kirchgemeinde oder auch im Privaten schaden.
Um zu beurteilen, ob ein Angebot noch sinnvoll weitergeführt werden soll, hilft eine klare Vision: Passt das Angebot noch zur Richtung, in die wir gehen wollen? Sinnvoll kann auch sein, einem Angebot klare Kriterien zu setzen: Wenn in zwei Monaten nicht 15 Personen kommen, wird das Angebot beendet.
Beenden als Normalzustand
Wer gut im Beenden werden will, sollte lernen, das Beenden innerlich zu «normalisieren». Henry Cloud argumentiert psychologisch: Wenn ein Mensch in einer gefährlichen Situation steckt, werden Kampf- oder Fluchtreflexe geweckt und es kommt zu einem Tunnelblick. Umgekehrt: Wer einer Herausforderung entspannt begegnet, kann die ganzen geistigen und emotionalen Ressourcen darauf verwenden, die Herausforderung möglichst gut zu meistern. Das heisst: Wer es schafft, das Beenden als normalen Teil des Lebens anzuschauen, kann entspannt alle Optionen prüfen und kluge Entscheidungen treffen.
Ein Praxisbeispiel
In der Podcast-Folge zum Buch «Necessary Endings» berichtet Co-Host Lukas Huber als Praxisbeispiel von einem gross aufgezogenen Jugendgottesdienstes, den er zusammen mit dem katholischen Pastoralraum und der Chrischonagemeinde des Nachbarorts startete. Nach ein paar guten Jahren kamen weniger Teenager und er merkte, dass die Zeit des Angebots abgelaufen war; es wurde beendet. Anderthalb Jahre später startete die Junge Kirche Klettgau ihren eigenen Gottesdienst für junge Erwachsene – ein Angebot, das immer noch läuft und viele junge Menschen anzieht.
Um zu prüfen, ob ein Angebot sinnvoll ist, sei eine realistische, hoffnungslose und motivierte Haltung am besten, empfiehlt Cloud weiter. Auf Wunder zu hoffen, ist nicht hilfreich. Was wird sich realistischerweise ändern, sodass das Angebot weitergeführt werden sollte?
Und wenn es um Menschen geht?
Wenn es um Menschen geht, sagt Cloud, dass die Vergangenheit die beste Voraussage der Zukunft ist. Es ist sinnvoller, sich auf eine verrückte Idee einer Person einzulassen, die in der Vergangenheit bewiesen hat, dass sie Dinge durchziehen kann, als einer einigermassen gut klingenden Idee einer Person zu vertrauen, die in der Vergangenheit gezeigt hat, dass sie mit ihren Projekten scheitert.
Henry Cloud beschreibt in der Zusammenarbeit drei Arten von Menschen: Weise Menschen hören sich Kritik an und ändern ihr Verhalten. Mit ihnen kann man gut zusammenarbeiten. Törichte Menschen weisen Kritik von sich und geben allen anderen die Schuld. Wer mit Menschen zu tun hat, die die dieses Verhalten wiederholt an den Tag leben, sollte nicht mit ihnen diskutieren, weil das nur als Herumnörgeln ankommt. Törichten Menschen sollte man Grenzen setzen und sie Konsequenzen spüren lassen. Es gibt aber auch böse Menschen, die anderen oder einer Organisation bewusst schaden wollen. Vor ihnen muss man sich – und die Kirchgemeinde – schützen; die Beziehung kann nicht weitergehen.
Zum Schluss der Episode geht es darum, dass man sich von Projekten – ähnlich wie von Menschen – bewusst verabschieden sollte: dankbar auf das schauen, was einmal gut war und auch betrauern, dass es jetzt zu Ende geht.